Dienstag, 30. April 2019

Update: Was die letzten Wochen passiert oder nicht passiert ist

Die letzten beiden Wochen habe ich langsamer und ruhiger angehen lassen. Den Fokus habe ich dabei darauf gesetzt, zu reflektieren. Das bisher Erlebte, Gesehene und Gelernte zu verinnerlichen und vor allem zu verarbeiten. Es ist ja doch alles irgendwie neu, beinahe täglich gibt es ein "erstes Mal" für irgend etwas. Das erste Mal beim chinesischen Frisör, das erste Mal in China U-Bahn fahren, das erste mal hier und da gewesen, das erste mal dieses und jenes gegessen... Die Liste für die ersten Male in den letzten acht Wochen ist lang.


Ich habe einfach gemerkt, dass ich diese Zeit jetzt brauche beziehungsweise gebraucht habe. Soviel Chaos in meinem Kopf hat sich aufgelöst, einfach weil ich mich ein wenig zurück gezogen habe, am Wochenende nicht wie eine Wilde los gezogen bin, um so viel wie möglich zu sehen. Sondern zum Beispiel einen ganzen Samstag lang nur im Bett lag und gelesen habe. Ich hatte ja eigentlich schon vor, etwas zu unternehmen, etwas zu entdecken. Aber es hat sich dann doch richtiger angefühlt, im Bett zu bleiben, den Körper und den Geist zu entspannen und nichts zu tun. 

Diese letzten beiden Wochen habe ich, wie schon gesagt, genutzt, um zu reflektieren. 
Wie fühle ich mich wirklich? Was hat das bisher erlebte in mir ausgelöst? Was ist passiert, was ich vielleicht gar nicht so richtig wahr genommen habe?

Durch die ganze Nachdenkerei bin ich auf diese essentielle Frage gestoßen:
Warum habe ich eigentlich kein Heimweh?

Aus diesem Gedanken, beziehungsweise der Erkenntnis daraus, und aus dem perfekten Abendspaziergang am Samstag ist auch der letzte Blogpost, meine Liebeserklärung an Suzhou entstanden. Irgendwie hängt das sehr eng miteinander zusammen, finde ich. 

Ich habe kein Heimweh weil...

... es sich nicht so anfühlt, als wäre ich so weit von meinen Liebsten entfernt, wie ich es tatsächlich bin, weil sie nach wie vor fester Bestandteil in meinem Alltag und in meinem Leben sind. Natürlich nicht mehr physisch aber das ist nicht so schlimm. Alle von ihnen nehmen sich regelmäßig die Zeit, mit mir zu reden, sich meine Geschichten und auch meine Probleme anzuhören, und mir aus ihrem Alltag zu berichten. Die körperliche Nähe fehlt, keine Frage. Aber viel wichtiger als das ist es doch, dass sie trotz allem noch genauso für mich da sind und mich für sich da sein lassen :)

... ich hier sein will. ICH habe mich FREI und ALLEINE dafür entschieden, das Projekt "2 Jahre in China" anzugehen. Niemand hat mich dazu gezwungen, überredet oder sonst irgendwas dergleichen. Ich war es die das alles mit einer riesigen Vorfreude geplant hat und ich bin es, die nun mit einer genauso großen Freude hier ist.

...ich mich hier gut aufgenommen fühle. Ich bekomme so viel Unterstützung, das es mir manchmal schon fast Leid tut, wie viel Zeit andere damit verbringen, mir zu helfen. Und das nicht nur bei "überlebensnotwendigen" Angelegenheiten, nein auch bei meiner Freizeitplanung. Ich bekomme kleine Geschenke von meinen Kollegen, wie Tee oder deutsches Brot. Das ist so unglaublich nett. Sie müssen das nicht, aber sie machen es gerne, weil sie wollen, das ich mich hier wohle fühle.

Und das ist auch der letzte große Punkt: weil ich mich hier wohl fühle.

Die meisten stellen sich das bestimmt so vor: eine riesen große Stadt mit ca. 14 Millionen Einwohnern, überall Menschen und Gedränge. Verkehr und Gestank und Smog ohne Ende. Hochhäuser, Betonklötze, grau in grau. Keine Luft zum atmen, Platzangst, Chaos.

Es deutet einiges darauf hin, dass man sich das so vorstellt, aber so ist es nicht. Die Infrastruktur ist eine ganz andere als die in Deutschland. Hier ist alles viel großflächiger bemessen, die vielen Menschen (und auch die vielen Autos) haben hier genügend Platz. Auch um sich aus dem Weg zu gehen.
Und es ist grün hier. Bäume säumen die Straßen. Riesengroße Parks an jeder Ecke. Stadtbegrünung auf einem richtig hohen Niveau!
Gerade im letzten Monat, als der Frühling begann und alles geblüht hat, war es einfach wunderschön hier. Sogar wenn man einfach nur aus dem Fenster geschaut hat während der Taxifahrt. Und das in einer Großstadt!!!

Ja, ich fühle mich hier definitiv sehr wohl.

Was eindeutig auch überfällig war, war das Shanghai-Wochenende zu verarbeiten. Ich habe euch ja schon in meinem Shanghai-Post erzählt, wie geflasht ich war von dieser Mega-Metropole. Es hat mir so gut gefallen dort, ich habe so viel gesehen und erlebt, in so kurzer Zeit. Und rückblickend betrachtet war genau das das Problem. Mein Kopf war überfordert. Das habe ich eben erst zwei Wochen später festgestellt, als ich mir selbst die Zeit gegeben habe, nicht immer weiter Neues aufzunehmen, sondern den bereits gesammelten Input erstmal richtig und vor allem in Ruhe zu verarbeiten. 

Das ist so wichtig. Sich Zeit zu nehmen. Auf sein Gefühl zu hören. Wenn dein Kopf irgendwie nicht mehr weis was er machen soll weil er so viel in sich hat. Wenn man es schon gar nicht mehr schafft, neues aufzunehmen weil da einfach schon so viel ist.

Auch hätte ich mir gewünscht, jetzt wo ich es verarbeitet habe, das erste Mal in Shanghai nicht alleine gewesen zu sein. Ich denke, das hätte gut getan. Ablenkung durch Gespräche. Es ist nicht immer einfach, sich so etwas einzugestehen. Besonders nicht, wenn man wie ich sowieso gerne und viel alleine unterwegs ist, es genießt im eigenen Tempo reisen zu können und eigentlich denkt, man was genau was man da tut, man hat es ja schon hundert Mal gemacht :D aber auch diese Erkenntnis habe ich angenommen.

Nun ja, es ist wie es ist. Nächste Woche gehe ich ja auch schon wieder nach Shanghai, schon wieder alleine. Es ist alles gebucht und ich freue mich drauf. Und zum Glück weiß ich jetzt auch was mich erwartet wenn ich eintreffe. Deshalb mache ich mir keine Sorgen, dass ich im Nachhinein wieder so lange daran zu knabbern habe.

Außerdem habe ich vor etwa zwei Wochen erfahren, dass ich um den ersten Mai rum 3 bzw. 4 Tage (den Samstag mit eingerechnet, Sonntag muss ich arbeiten) am Stück frei habe. 
Was das für mich bedeutet? Verreisen natürlich!
Geplant habe ich eigentlich, nach Gouqi Island zu fahren und mir dort ein altes, von der Natur zurückerobertes Fischerdorf anzuschauen. 

Ich habe recherchiert was das Zeug hält, habe herausgefunden, wie ich dort hinkomme - mit dem Zug nach Shanghai, von dort weiter mit dem Bus, dann mit der Fähre nach Shengsi Island und mit der nächsten Fähre dann nach Gonqi Island. 
Das war es dann aber auch schon. Wow bin ich weit gekommen :D
Also habe ich meinen Arbeitskollegen um Hilfe gebeten. Er hat auch echt super viel Zeit investiert, alles mit mir zu planen. Schlussendlich wird daraus nun aber doch nichts. Warum?

Weil wir den Bus und die Fähre zwar gebucht, aber keinerlei Bestätigung oder Abfahrtszeiten erhalten haben. Der Support der Reisewebsite hat nur gesagt: Warten und / oder auf gut Glück nach Shanghai kommen und schauen, ob und wie es weiter geht.

Grundsätzlich hätte ich da ja auch nichts dagegen, allerdings ist diese Art des Reisens hier in China für einen Nicht-chinesisch Sprechenden sehr schwierig. Über die Probleme sich zu verständigen, habe ich ja auch schon berichtet...

Also habe ich mich dafür entschieden, wenn wir bis Sonntag (3 Tage vor Abfahrt) keine Antwort erhalten würden, (was wir auch nicht taten) das bereits Gebuchte zu stornieren und einen Plan B zu schmieden. 

Aus Plan B - Hangzhou - wird aber auch nichts. ALLE Züge für den 1. und den 2. Mai sind RESTLOS ausgebucht.

Okay, jetzt wird es eben Plan C :D
Morgen Mittag geht´s los. Wohin verrate ich euch jetzt aber noch nicht. Das erfahrt ihr dann, wenn ich wieder zurück bin.

Wer mich kennt, kann sich vorstellen, wie das für mich gewesen sein muss. So lange nicht zu wissen, was Sache ist. So spontan etwas neues zu planen. Darin bin ich nämlich überhaupt nicht gut, im spontan sein. Das darf ich noch lernen. Die Zeit dafür ist JETZT gekommen. Weil ich mich wohl dran gewöhnen muss. Hier ist das nämlich ganz normal, spontan am Nachmittag zu erfahren, was am Abend ansteht. Sich spontan etwas aus den Fingern saugen, was man in den freien Tagen, von denen man spontan zwei Wochen vorher erfahren hat, unternehmen kann und möchte.

So ist das eben. Nichts tun ist für mich nämlich keine Option. Diese Zeit will ich schon nutzen!

Auch in Anbetracht dessen, hat wieder alles gepasst, dass ich mir Zeit genommen habe um mich etwas auszuruhen und erstmal alles anständig zu verarbeiten bevor es dann morgen wieder losgeht :)

Und wer jetzt denkt "Das nennst du nichts tun!?" der kann sich vielleicht vorstellen, wie voll mein Terminkalender war, als ich noch in Deutschland, umgeben von all meinen Freunden, gewesen bin...