Sonntag, 20. Oktober 2019

China und die Work-Life-Balance

Wo soll ich hier nur anfangen...?
In den 8 Monaten die ich nun schon hier bin, habe ich schon einiges erfahren, über die Work-Life-Balance in China, das mich unendlich traurig macht. Und mich bewusst werden lässt, wie gut wir es doch haben in Good-Old-Germany. Was Urlaub, Freizeit und Überstunden angeht, jammern wir im Vergleich zu den Chinesen - die eigentlich gar nicht jammern - auf sehr, sehr hohem Niveau.
Zu diesem Thema möchte ich nun gerne einige Geschichten mit euch teilen.

Folgendes stammt alles aus Erzählungen und Gesprächen.
Ich gebe keine Garantie dafür, dass dass überall in China und in jeder Firma oder jedem Beruf gleich ist. Außerdem habe ich nicht weiter recherchiert und beziehe mich nur auf die Aussagen meiner Quellen ;-)


Ein ganz normaler Angestellter in China hat beim Eintritt in die Firma regulär 7 Tage Urlaub im Jahr.

Ich hatte in Deutschland 30 Tage, hier habe ich 20 Tage. Und 20 Tage sind erschreckend wenig, wenn man doch 30 Tage gewohnt ist.

Nach jedem Jahr Betriebszugehörigkeit bekommt der Mitarbeiter einen weiteren Urlaubstag hinzu, bis er das Maximum von 15 Tagen erreicht hat.
Die Urlaubstage werden nicht bezahlt, weshalb die Mitarbeiter meistens nicht mal ihre 7 Tage in Anspruch nehmen.

Als Jahresurlaub gelten hier die einwöchigen Chinese New Years Holidays im Januar bzw. Februar sowie die einwöchige Golden Week oder (auch National Holidays genannt) im September bzw. Oktober. 

Auch ist es in China nicht üblich, dass Mitarbeiter länger als eine Woche Urlaub am Stück haben. Eben weil sich das die wenigsten leisten können...

In meiner Firma hier in China arbeiten wir regulär alle eine 5 Tage / 40 Stunden Woche. Die meisten machen jedoch zig Überstunden und arbeiten am Wochenende. Überstunden werden nicht bezahlt. Mehrarbeit am Wochenende wird angeordnet und dem hat man Folge zu leisten. Auch ohne eine Mehrvergütung. 

In lokalen, chinesischen Unternehmen wird wohl sogar noch regulär 6 bis 7 Tage die Woche gearbeitet.

Ich habe meinen Kollegen gefragt: Warum macht man das!?

Seine Antwort darauf: Man hofft, dass es in Zukunft besser wird. Dass man durch seine Mehrarbeit Wissen erlangt und in Zukunft in der Firma aufsteigen kann, mehr Verantwortung übernehmen darf und ein besseres Gehalt bekommt.

Und woher weiß man, dass das irgendwann so sein wird?

Das weiß man nicht, das hofft man einfach. Aus Erfahrung weiß man aber, dass es durchaus möglich ist.

Und was, wenn der Fall nicht eintrifft? 
Dann hat man doch nur gearbeitet, für weniger Geld, weniger Zeit mit der Familie und hat am Ende des Tages rein gar nichts davon.

Ja, so sieht es aus.

Mein Arbeitskollege hat einen Sohn. Der geht in die erste Klasse. Nach jedem Halbjahr stehen Tests an, um den aktuellen Stand des Schülers abzufragen.
Mein Kollege meinte, sein Sohn sei nicht gut in der Schule.

Was bedeutet denn nicht gut in der Schule, habe ich gefragt.

Nicht gut in der Schule bedeutet, dass sein Sohn beim Halbjahrestest nur 95 von 100 möglichen Punkten erreicht hat.

Ist das nicht traurig!?

Und wie schauts mit den Hausaufgaben aus?

Ein chinesischer Grundschüler hat mehrfach die Woche Nachmittagsunterricht und ist häufig erst um 16 Uhr zu Hause. Danach wird gegessen, und dann Hausaufgaben gemacht. Es kommt nicht selten vor, das bis 20 Uhr an den Hausaufgaben gesessen wird.

Und was ist mit Freizeit, spielen, Freunde treffen?

Das gibt es nicht :(

Kinder sind keine Kinder mehr, sobald sie in die Schule kommen. Sie stehen unter so großem Druck, der beste oder die beste zu sein, weil es so viele andere gibt. So viele andere, die die 100 Punkte erreicht haben.

Zusätzlich zu den vielen Hausaufgaben gibts am Wochenende dann noch Nachhilfe.

Der Sohn meines Kollegen lernt außerdem noch Piano. Sonntags morgens geht er zum Unterricht, welcher sehr teuer ist. Aber nicht, weil er das möchte und sich ausgesucht hat, er möchte Piano lernen. Nein, weil er es muss. 
Auch hier finden regelmäßige Competitions statt, in denen die Kinder sogar gegen einander antreten...

Am Mid-Autumn-Festival (3 freie Tage) wollte die Familie in einen Vergnügungspark, das hat dann aber nicht stattgefunden, weil der arme Bub so viele Hausaufgaben hatte, das er 2 Tage beschäftigt war, und am Sonntag wieder zum Pianounterricht musste.

Meine erste Chinesischlehrerin die ich hatte, arbeitet Hauptberuflich für die Regierung (was auch immer das heißen mag, hier arbeiten gar viele für die Regierung). Chinesisch hat sie unterrichtet, weil ihr der Umgang mit Menschen, insbesondere Ausländern wie mir Spaß und Austausch bereitet.
Ihr Arbeitgeber hat dann entschieden, dass sie ab einer Woche später für 3 Monate in eine andere Stadt versetzt wird. Da wird nicht gefragt ob das passt, da wird das einfach entschieden und wenn einem sein Job lieb ist, dann macht man das ohne Wiederworte.

Essen, schlafen, kommunizieren mit der Familie und Freunden, die zum Teil Tagesreisen entfernt wohnen, dass alles findet "zwischendurch" statt. 

Vor kurzem habe ich durch Zufall eine junge Chinesin, ich schätze in meinem Alter, kennen gelernt. Sie sagte mir, dass sie Financial studiert hat. Ihr Vater hat das für sie ausgesucht. Sie hatte die Möglichkeit ein paar Semester in Europa zu studieren, ist jetzt aber unglücklich in ihrem Job. Sie interessiert sich für Fotografie, davon wollen ihre Eltern aber nicht wirklich etwas hören. Sie macht ihren Job aus Dankbarkeit ihren Eltern gegenüber, weil sie ihr ihre Zeit im Ausland finanziert haben und sie somit gute Voraussetzungen für einen gut bezahlten Job hat.

Es macht mich traurig, solche Geschichten zu hören. Es macht mich traurig zu wissen, dass ich es einzig und alleine deswegen so viel besser habe, weil ich in Deutschland geboren bin. Ich habe nichts besonderes geleistet und habe so viele Privilegien. Das ist mir die letzten Monate immer wieder vor Augen geführt worden und das ist mir jetzt absolut klar.

Und es erstaunt mich, wie das hier alles hingenommen wird, ohne zu Jammern.